Kleine Rede zum 65. Gebutstag von Rolf Lyssy
Lieber Rolf
Das Schlimmste vorweg: ich werde dir morgen zum 86. Geburtstag gratulieren. Ich weiss, du hörst diese Zahl heute zum ersten Mal, aber ich finde, dass du und dein entgaster Freundeskreis ein Recht darauf haben, endlich zu erfahren, wie viele Jahre du in Wirklichkeit auf dem Buckel hast.
Ich habe nämlich gerechnet: Zuerst zählte ich die Monate, Wochen und Tage zusammen, die du vergeblich auf eine gute Nachricht aus Bern gewartet hast. Dann zählte ich die Tage, Wochen und Monate zusammen, die du gewartet hast, bis auch die Absagen der übrigen geldgebenden Instanzen bei dir eingetroffen waren. Dazu addierte ich die vielen Wochen, die du für deine Wiedererwägungsgesuche und Rekurse aufgewendet hast; inklusive die Wartezeit, bis diese in abschlägiger Form wieder auf deinem Tisch lagen.
Dazu zählte ich auch noch die Jahre und Tage, die du dich mit potentiellen Produzenten herumgeschlagen hast, um mit ihnen eine gangbare Lösung zu finden, wie man deine Low-Budget-Film eventuell auch ohne Geld finanzieren könnte. Die Liste ginge noch lange weiter.
Schliesslich multiplizierte ich die Summe deines vergeblichen Wartens auf „Nichts“ mit der Anzahl deiner Filme – der zustandegekommenen und nicht zustandegekommenen – und kam so auf genau 21 Jahre.
Um deiner Wirklichkeit eher gerecht zu werden, habe ich diese 21 unwirklichen Jahre zu deinen wirklichen dazugezählt.
Lieber Rolf, wenn du dich nun mit meiner zahlenstatistischen Sicht der Dinge identifizieren würdest, müsstest du jetzt ziemlich alt aussehen.
Aber, wie ich sehe, tust du das nicht, im Gegenteil. Zumindest aus meiner Distanz (und in diesem schummrigen Licht) würde ich dir höchstens 44 Jahre geben.
Es ist deshalb zu befürchten, dass du, dank deinem ausgesprochenen Sinn fürs Paradoxe, meine mathematische Logik auf den Kopf gestellt hast, und die 21 unwirklichen Jahre von Deinen wirklichen abgezogen hast. Mit andern Worten: es gibt offenbar kein taugliches Mittel, um Dich aus dem altersloen „Swiss Paradise“ zu vertreiben.
Mitschuldig an deiner Resistenz zu alter ist meiner Meinung nach auch dein versöhnlicher Humor; deine grosse Meisterschaft im Wiederaufstehen; deine branchenuntypische Erfolgserfahrung. Und last but not least: deine sieben heimlichen Leidenschaften, von denen ich hier nur die des Passivrauchens in euren eigenen vier Wänden verraten möchte. Zudem bist du einer der grössten und treuesten Freundschaften-Pfleger, die ich kenne, das heisst: du pflegst sie sogar, wenn es dir gut geht.
Und was dein Outfit und deine Fittnes betrifft, so überlässt du auch da nichts dem Zufall. Weil du zum Beispiel weisst, dass der Prozess des physischen Vor-Sich-Hin-Reifens nicht mal mehr vor Vollblut-vegetariern halt macht, gibt es bei dir wöchentlich mehrmals nur noch gedämpften Salm und Pesto con Margarine. Du beginnst Deinen Tag mit Klimmzügen und Rumpfbeugen, zu dessen Zweck Du Dich jeweils wie eine Glocke an den Kniekehlen an jene berühmt berüchtigte Stange hängst, die Du im Türrahmen Deines Badezimmers geklemmt hast. Und wie wir, dein weiter Freundeskreis vor einiger Zeit zur Kenntnis nehmen musste, ist die Ermüdung der Stangenhalterung derjenigen deiner Bauchmuskulatur zuvorgekommen, dodass der Sturz er Glocke in die Tiefe des Parketts nicht mehr zu vermeiden war.
Dein Anblick am Tag danach war für mich mindestens so erschütternd wie von seltener Komik. Dein Kopfgips mit Nasenschutz erinnerte mich unweigerlich an einen römischen Gladiator aus einem frühen Film von Woody Allan. Zu jener Zeit trafen wir uns öfter zu einem Waldspaziergang, bzw. zu einem «Talk on the Wildside». Wobei du entgegen deiner sonstigen Wesensart, vor allem geschwiegen hast. Heute wissen wir, dass diese Lebensphase gleichzeitig eine Art Inkubationszeit war, für das heute erscheinende Buch: «Swiss Paradise».
Bücher hast Du ja schon viele geschrieben, aber immer nur solche, die man am letzten Drehtag als schlaffe A-4-Bündel in den Papierkorb wirft. Wissend, dass ein Drehbuch so wenig ein Buch ist, wie ein Grundriss-Plan eines Hauses, ein Haus.
Ein echtes Buch ist erst dann ein Buch, wenn es:
1. auf seinen eigenen zwei Deckeln stehen kann.
2. wenn es nicht nur von Lektorinnen, sondern auch von Menschen gelesen wird. Und
3. wenn es in einem echten Verlag erscheint.
Punkt 1. und 3. sind im Falle von „Swiss Paradise“ bravourös erfüllt. Nun muss das Buch nur noch von Leserinnen und Lesern gelesen werden.
Lieben: Rolf, Anne und Dominique, ihr habt alle drei Eure Schuldigkeit getan. Jetzt liegt es an uns, dafür zu sorgen, dass auch der Punkt 2. in Erfüllung geht. Wie wir alle wissen, leben höchstens die Schriftsteller von „gelesenen“ Büchern; die Verlage leben von den „verkauften“.
Weil wir es hier aber gleich mit zwei Verlegerinnen zu tun haben, schlage ich vor, dass wir alle mindestens zwei Bücher kaufen. Und Rolf wird sie dafür gratis signieren.
Abschliessend nur noch eine ganz kleine Anmerkung, bzw. Indiskretion.
Da Rolf – wie gesagt – in Zukunft von seinen gelesenen Büchern leben muss, wird er am kommenden Montag zwecks Existenz-sicherung einer Falun-Gong-ähnlichen Vereinigung beitreten, welche altruisti-scherweise von seinen Mitgliedern keine Beiträge verlangt, sondern (groteskerweise) ihnen solche ausbezahlt. Der Name dieser obskuren Gesellschaft klingt ziemlich abgehoben: „Association for eternal Health and neverending Vacations“, besser bekannt unter dem Kürzel AHV.
Lieber Rolf, I will see you there - verry soon!
Fredi M. Murer © 24. 2. 2001