Filmstills

 

Bernhard Luginbühl - 1996

«Privates Kino» - «cinema prive», in Opposition zum damals gepflegten und propagierten cinema-verite - hat Murer seine ganze Produktion der sechziger Jahre genannt. Privat ist tatsächlich auch der Zugang zu dem international bekannten Berner Eisenplastiker Bernhard Luginbühl. Dessen Kunst erscheint nur am Rande; ein paar Einstellungen auf Plastiken und Radierungen genügen. Der Stoff ist ein anderer: der farbige Alltag in dem Bauernhaus, das Luginbühl und seiner Familie als Wohnhaus, Werkstatt und Gästehaus dient; und wieder ist auch ein Garten Schauplatz einer gelösten, intimen Arbeit.

Die Kinder des Künstlers sind es, die der Kamera das Labyrinth erschliessen. Mit dem Hund tollen sie in Haus und Garten herum und inszenieren, fantastisch kostümiert, auch einen Postkutschenüberfall. Ohne falschen Respekt, ohne den leichtfüssigen Rhythmus zu verlieren, gestaltet Murer den Besuch des Künstlerfreundes Jean Tinguely zu einem ebenso beschwingten wie flüchtigen Ereignis. Listig und beiläufig macht er Ursula Luginbuhl, die Frau des berühmten Künstlerkolosses, zum Mittelpunkt eines in ständiger Bewegung pulsierenden Haushalts. Sie ist Keramikerin, wenn es das turbulente Familienleben erlaubt. In liebevollem Gegenlicht sieht man sie an der Arbeit - Fuss, Hand, Kopf in einer ausgewogenen Montage.

Der impressionistische Film kehrt das übliche Muster von Künstlerporträts um: nicht die Kunst und nebenbei ein bisschen Privatleben, sondern ein Privatleben, das als Humus einer vitalen Kunst fassbar wird. Nach bewährtem Prinzip wurde die in Realzeit Musik aufgenommen, das Quartett der Jazzpianistin Irene Schweizer improvisierte zu einer Projektion im Tonstudio eine zuweilen illustrierende, zuweilen freie Suite.

Bernhard Luginbühl

Bernhard Luginbühl ist Eisenplastiker mit noch anderen künstlerischen Eigenschaften und ausgeprägten persönlichen Neigungen. Der Film über und mit Bernhard Luginbühl ist kein Kunstfilm, sondern das Produkt eines Wechselgesprächs zwischen dem Künstler und mir. Der Film entstand während eines einwöchigen Aufenthaltes an seinem Wohnort, Haus und Atelier. Seiner Familie, den Alltäglichkeiten und seinen Gewohnheiten sind gleichviel Wert beizumessen wie seinem künstlerischen Schaffen und Werk. Die Filmmusik entstand in enger Zusammenarbeit mit den Musikern des Irene-Schweizer-Quartetts. 

Jeder Film gerät Murer zum "Happening"; wenn einer mitspielt, gibt es einen Film Murer diesen Sachverhalt als Schwäche anzurechnen, wäre genau verkehrt. Es gehört ein beinahe unvorstellbarer Mut dazu, wenn ein junger Cinéast nicht darauf bedacht ist sein Können anzuwenden, sondern es darauf ankommen lässt, sein Können allen möglichen Eindrücken auszusetzen. Mut oder angeborener Spieltrieb! 

Nach dem Mitspiel beginnt Murers Kunstverstand zu arbeiten, bei der Montage. Aber auch dieser Kunstverstand ist nicht ohne spielerische Momente, nicht ohne Intuition. Murer hat einen ausgesprochenen Sinn für die Dauer von Einstellungen für die Musik wechselnder Zeitabschnitte. Der «Western», der Murer mit Luginbühls Kindern inszeniert hat, ist ein Zeugnis für seine Improvisationsgabe; die Erzählung des Frühstücks in Mötschwil dagegen beweist den hohen grad an Künstlichkeit mit welchem das improvisierte Material in eine einsehbare und fühlbare Ordnung gebracht wird. 

Die Musik stammt vom Irène Schweizer-Ouartett, da gibt es kaum illustrative Ansätze. Das Nebeneinander von Tonmusik und Bildsmusik wirkt «sauberer» als in den meisten Kunstfilmen herkömmlicher Art, in den bekannten Produktionen, in welchen abgebildet wird, ohne dass wirklich ein Bild entsteht. Murers Film ist kein Kunstfilm in der herkömmlichen Art. Nicht das Werk eines Künstlers steht im Mittelpunkt, sondern der Künstler selbst als Persönlichkeit, die sich der Kamera ausliefert und die dann wieder die Kamera provoziert, eine Persönlichkeit, die in allen Sphären identisch bleibt, Falle Luginbühls: bei der Arbeit, in der Familie, beim Autofahren, auf dem Schrottplatz und am Frühstückstisch, mit den Kindern, ja selbst bei der Vernissage einer seiner Ausstellungen. Dieser Eindruck der Identität kommt nicht durch die Identität der Aufnahmen zustande, sondern durch die Montage, durch die Umsetzung von Eindrücken in einen zwingenden Ablauf.

Bei Murer entsteht leicht der Eindruck eines begabten Einzelgängers, eines vom Bürger (zu unrecht) bewunderten Bohémiens. Murer aber ist bereits mehr; er versteht es, sein Wesen und wesensverwandte Erscheinungen filmisch zu objektivieren, in durchaus persönlicher Weise. 

Gibt man a ich als Zuschauer seinerseits die Mühe, den Film zu objektivieren, erweist sich, dass sich da hinter scheinbarer Nonchalance, hinter dem scheinbaren Zufall eine strenge künstlerische Ordnung verbirgt. Murer gelingt es, seinen eigenen Spieltrieb zu sublimieren. Das ist das Aussergewöhnliche an seinem Talent, das Seltene in der schweizerischen Kunst überhaupt, die so viel Verkrampfung, so viel guten Willen und wenig Eleganz kennt.
Martin Schaub

 

Credits

Kamera: Fredi M. Murer
Ton: Musik, ohne Dialog

Produktion: Fredi M. Murer
Format: Schwarz-Weiss, 16 mm
Dauer: 23 min

 

Werkfoto