Filmstills









Sehen mit andern Augen - 1978
Ein Film über fünf blinde Menschen, die mit einem Führhund laben. Ein Auftragsfilm, der Wissenswertes vermittelt. Der Kunst des Regisseurs, der ein behutsam-souveräner Inszenator ist, ist es zu verdanken, dass es weit über die verbale Information hinaus ging, so wichtig diese auch blieb.
«Sehen mit anderen Augen» - der Titel, der sich auf die unter anderem durch den Hund eröffneten neuen Wahrnehmungsmöglichkeiten des Blinden bezieht, gewann von allem Anfang an auch für den normalsichtigen Betrachter seine Bedeutung. Dadurch dass die Frau, die wir in der allerersten Einstellung sehen, zunächst im Dunkeln steht, eine schwarze Silhouette vor heilem Hintergrund, bis das Licht weich wechselt und sie schliesslich aufhellt, wird die Wahrnehmung des Zuschauers für diesen fast unmerklich aufs Gehör verlagert: dorthin, wo der Blinde lebt und von wo er, wie später ein blinder Physiotherapeut mit eigener Praxis sagen sollte, der «visuellen Dominanz» unseres Alltags, ja unserer Kultur intensivere Erfahrungen entgegenzuhalten imstande ist.
Natürlich ist Fredi Murer primär am Menschen interessiert, seine Aufgabe aber war es, eine Darstellung der Leistungen und der Bedeutung des Hundes in der Zusammenarbeit mit dem Menschen zu geben. Wie er im persönlichen Gespräch sagt, sei der Film für ihn fast ein wenig zur therapeutischen Erfahrung geworden, da er ein «etwas gestörtes Verhältnis» zu Hunden unterhalte. (Man erinnere sich an das brave Tier in «Höhenfeuer», das vom unter Strom gesetzten Fressnapf eins auf die Schnauze bekam...)
Der Film zeigt aber nicht bloss die staunenswerten Fähigkeiten der Tiere, die sich der Mensch durch Zuwendung und umsichtige Schulung zunutze zu machen versteht; er wird auch zur eindringlichen Porträtgalerie einer Reihe von Labrador-Retrievern, deren Physiognomie und Persönlichkeit in respektvollen Bildern in Augenhöhe der Vierbeiner aufscheint.
1968 entwarf Fredi Murer seine «Vision of a Blind Man», einen neunzigminütigen «Essay über Sehen und Hören», den er durchaus als Beitrag zur Grundlagenforschung versteht Die immer schon geplante «Fortsetzung» hat hier nun ganz unerwartet Konkretisierung gefunden. Denn wenn der Film eines deutlich macht, dann die Tatsache, dass der Mensch sein sensorisch-sinnliches Potential ohne die Unterstützung durch das Tier eben nicht auszuschöpfen vermag; jeder der fünf Porträtierten betonte zudem die gewaltige Erweiterung der Möglichkeiten das Leben reicher zu gestalten: die Sozialarbeiterin, der es über das Tier selbstverständlich gelingt Kontakt zu jungen Drogenabhängigen zu finden, der Physiotherapeut, der dank seinem Führhund ausgedehnte Bergwanderungen unternimmt, der Theologiestudent, der Spitzensport treibt. Von befreiender Wirkung auch auf den Betrachter war die knurrende, schwanzwedelnde Begeisterung, mit der sich die so gefügigen Hunde beim ausgelassenen Spiel von der konzentrierten Arbeit erholten.
Christoph Egger (NZZ)
Credits/Cast
Buch und Regie: Fredi M. Murer
Kamera: Othmar Schmid
Kamera-Assi: Helena Vagnières
Ton: Florian Eidenbenz
Musik: Mario Beretta
Aufnahmeleitung: Kurt Widmer
Produktion: Fredi M. Murer
Sprache Schweizerdeutsch
Dauer: 38 min
Originalversion: Farbe, 16 mm